Keine Modequalität
ohne Handwerk
Ein Text von Ute Lindner
Keine Modequalität ohne Handwerk
Ein Text von Ute Lindner
Ich studierte von 1982 bis 1987 Modedesign an der Kunsthochschule Weißensee in Ostberlin. Mit der Ausbildung konnte ich mich identifizieren. Neben der Aneignung hoher künstlerischer Ansprüche war die Lehre in den angewandten Bereichen darauf gerichtet, Produkte zu entwickeln, die sowohl formschön sind als auch in ihrer Funktion durchdacht. Der hohe Gebrauchswert stand als zentraler Wert, das ist heute aktueller denn je.
Erproben konnte ich mich schon während der Studienzeit in zahlreichen Kollektionsprojekten in enger Zusammenarbeit mit Modebetrieben der DDR wie dem VEB Textilmaschinenkombinat TEXTIMA in Chemnitz und dem Berliner Modeunternehmen VHB Exquisit. Die enge Verbindung der Modeabteilung der Kunsthochschule zu Exquisit durch Prof. Artur Winter, der beide Einrichtungen leitete, ermöglichte mir Einblicke in Prozessabläufe, vom ersten Entwurf eines Modells bis zu seiner Serienfertigung und dem Verkauf.
Ich empfand schon damals großen Respekt vor dem handwerklichen Können von Schnittmacher:innen, Modelist:innen und Schneider:innen, die die Umsetzbarkeit eines Entwurfes in entscheidendem Maße ermöglichten. Sie waren deshalb fest integriert in die Herstellungsprozesse sowohl von kleinen Ateliers wie auch großen Modeproduzenten.
In meiner Meisterschüler-Zeit wurde mir 1987 ein einjähriger Aufenthalt in den Pariser Haute Couture-Häusern von Louis Féraud und Per Spook ermöglicht. Mit großer Bewunderung verfolgte ich das handwerkliche Treiben in den Ateliers, wo betuchten Kundinnen aus der ganzen Welt, Roben im wahrsten Sinne des Wortes auf den Leib geschneidert wurden. Den Wert von Handwerk in der Mode, der an dieser Stelle als Kulturgut der Gesellschaft in höchster Form zelebriert wurde, habe ich bis heute verinnerlicht. Ich schätze es sehr, wenn international renommierte Modedesigner von heute wie Dries van Noten das traditionelle Kunsthandwerk in ihren Kollektionen aufleben lassen und mit Nachdruck pflegen.
1993 machte ich mich mit einem eigenen Modelabel selbstständig. Der Übergang in ein neues Gesellschaftssystem fiel mir nicht leicht. Aber mein Wissen um Abläufe vom Entwurf bis zur Serienproduktion kam mir jetzt zugute. Dieses Pro­ze­de­re behielt ich bei. Ich vermied es, Angestellte finanzieren zu müssen, sondern arbeitete mit Schnittkonstrukteur:innen, Musternäher:innen und Ateliers sowie Poduktionsunternehmen für die Serienfertigung subunternehmerisch zusammen. Meist waren das Fachkräfte und Firmen, die ich noch aus der DDR kannte und die für ihre hohe handwerkliche Qualität bekannt waren.
Die Mustermodelle, die Prototypen, meiner Kollektionen entwickelte ich in enger Zusammenarbeit mit einer Konstrukteurin vom ehemaligen Modeinstitut der DDR und zwei versierten Schneider:innen, alle Koryphäen auf ihren Gebieten. Der enge Austausch, den ich als ein ständiges Abwägen zwischen ästhetischen, funktionalen und technologischen Gesichtspunkten umschreibe, hat mich gefordert und meine Erkenntnis nochmals bestätigt. Es gibt keine Modequalität ohne Handwerk − ein Fließen zwischen Tätigkeit, Erkenntnissen und Fingerfertigkeiten muss gewährleistet sein. Handwerkliches Können ist als Gradmesser für funktionales und stimmiges Design notwendig.
1996 konnte ich stattliche Produktionszahlen aufweisen. Ich verkaufte meine Kollektionen deutschlandweit, nach Holland, in die Schweiz und nach Japan. Mein japanischer Vertreter hatte u.a. Escada unter Vertrag. Da kam in mir schon etwas Stolz über das Erreichte auf.
Ab 1997 bekam ich zunehmend Probleme, Produktionsfirmen für meine Kollektionen zu finden. Die letzten Überbleibsel von DDR-Modebetrieben gingen in Insolvenz. Es fehlte ihnen, wie den meisten DDR-Firmen, an Lobby und somit an neuen Auftraggebern. Auch im vereinten Deutschland und in Berlin, meinem Wirkungskreis, gab es kaum noch Produzenten. Händeringend wurden diese aber von mir und einer neuen jungen Designergeneration, die sich nach der Wende zu Hauf mit exklusiven Labels selbstständig machte, gesucht.
Eine entscheidende Ursache für den Niedergang eines noch bis in die 80er Jahre funktionierenden Systems zwischen Kreativität, Handwerk und Industrie sehe ich darin, dass große deutsche Modefirmen nacheinander ihre Produktionen ins Ausland verlegt hatten, dahin, wo die wesentlich geringeren Fertigungslöhne zu immer höheren Gewinnspannen der Unternehmen führten. Dass den Unternehmen selbst, der Wirtschaft und Politik die Auswirkung dieses Schrittes bewusst waren, bezweifle ich stark.
Zwischenmeister, so nannte man in der Branche Modeateliers, die von den 50ern bis 80ern für Modeproduzenten und -firmen Musterkollektionen und Kleinserien als Zulieferer herstellten, verloren sukzessive ihre Auftraggeber. Die letzten ihrer Zunft in Berlin, wie die Schneiderwerkstätten Horst Schmidtchen in Neukölln und Ingo Zwettler in Charlottenburg, die die hohe Schneiderkunst von klassischer Mode aus dem Effeff beherrschten, produzierten noch bis Mitte 1990 für Designlabels wie Firma, John de Maya, Ralf Handschuch und für mich, bis auch dort die Lichter ausgingen. Sie hinterließen bis heute in Berlin eine große handwerkliche Lücke in der Herstellung von »hochgestochener« klassischer Mode.
Seit Jahrzehnten kann durch die fehlende Modeindustrie kein Schneider:innen-Nachwuchs mehr ausgebildet werden. Heute an Schulen ausgebildete Nähfacharbeiter.innen können die Lücke nicht schließen, weil es ihnen an Berufserfahrung in Produktionsabläufen fehlt. Als wäre es noch nicht genug, geht eine ganze Generation routinierter Fachkräfte jetzt in Rente und hinterlässt aus meiner Sicht eine Brache in der Mode.
Unter dieser misslichen Situation leiden seit Jahren Modefirmen, kleine Modelabels und der Designernachwuchs, die heute auf dem Markt bestehen, sich entwickeln oder erst etablieren wollen. Sie benötigen ein handwerkliches und ein industrielles Umfeld. Diese Leerstelle ist der Grund, weshalb viele junge Labels bereits nach kurzer Zeit ihres Bestehens resignieren.
In Anbetracht der Lage und meiner Erfahrungen erachte ich es als notwendig, dass Mode wieder zunehmend in Deutschland produziert wird und somit eine Basis für Austausch, Reibung und ein Schaffensraum zwischen Kreativität und handwerklich-industrieller Produktion neu entstehen kann.
Abbildung: Modekatalog Winter 1997/98 Ute Lindner, Gestaltung: André Kahane, Fotos: Ute Mahler, Model: Theo